Viel Wirbel gibt es um das automatische Fahren auf der Straße. Dabei wird vergessen, wie einfach diese Technologie auf der Schiene zu implementieren wäre und wie groß dabei das Steigerungspotential ist

– Hans Boës

Automatisches Fahren ist der neue Renner an der Technologiefront. Firmen wie Amazon oder Pizza Hut versprechen sich eine erhebliche Einsparung an Lieferkosten – und haben dabei vor allem die Personalkosten im Blick. Uber denkt vor allem an automatische Taxis und die Straßen und Bürgersteige werden in den kommenden Jahren sicherlich bald von kleinen Staubsauger-Robotern gereinigt.

Nicht nur im Verkehr – sondern in fast allen Bereichen der Produktion wie auch der Dienstleistungen – werden intelligente Maschinen bald einen guten Teil der vor allem stupiden und sich wiederholenden Tätigkeiten übernehmen (siehe: Automatisch arbeitslos).

Aber gerade im Straßenverkehr – mit seiner für einen noch so “intelligenten” Roboter – fast unüberschaubaren Vielzahl an möglichen Situationen und Reaktionen, halte ich den Einstieg in das automatische Fahren doch für recht problematisch und in den ersten Jahren auch für extrem riskant – insbesondere beispielsweise für Radfahrer, Fußgänger und Kinder.

Zahlreiche Probleme sind noch vollkommen ungeklärt und wie sich im Feldversuch zeigt, war natürlich bei keinem der dabei geschehenen Unfälle “das autonome Fahrzeug die Ursache”. Und ich kann mir z. B. sehr gut vorstellen was passiert, wenn Terroristen einen LKW – oder eine ganze LKW-Kolonne – hacken und dann damit beispielsweise auf die Münchner Wies’n fahren….

Warum wird nicht endlich einmal diskutiert, dass das automatische Fahren auf der Schiene längst Realität sein könnte und damit erheblich zur Entlastung der Straßeninfrastruktur beitragen würde. Bei der Schiene ist der Geradeauslauf mechanisch festgelegt und muss nicht von einem Programm geleistet werden. Das heißt, ein automatischer Betrieb auf der Schiene ist wesentlich simpler und schneller einzuführen als auf der Straße.

Schon 1990 hat Rolf Kracke – Professor am Institut für Verkehrswesen, Eisenbahnbau und -betrieb der Universität Hannover – gezeigt, dass die Kapazität der Schiene mittels moderner Steuerungs- und Regelungstechnik verzehnfacht werden könnte.

aus: Boës, Hans: Mit Vollgas in den Abgrund

 

Wie man an der Abbildung1 deutlich sehen kann, wäre die höchste Leistungsfähigkeit bei einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h erreicht. Die heutige Durchschnittsgeschwindigkeit in den Städten beträgt oft nur wenig mehr als 20 km/h, im Berufsverkehr oft noch weniger.

Das heißt, automatisches Fahren auf der Schiene, könnte nicht nur die Kapazität der Schieneninfrastruktur etwa verzehnfachen, sondern auch die Durchschnittsgeschwindigkeit im Stadt- und Regionalverkehr verdreifachen.

Zusammen mit Markus Hesse vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung haben wir damals am Sekretariat für Zukunftsforschung an der Entwicklung neuer innovativer Verkehrskonzepte für das Ruhrgebiet im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA 1995/2000) gearbeitet.

Unsere Vorschläge waren damals sicherlich etwas zu utopisch für die meisten Eisenbahnspezialisten, die oft noch in der Technologie des 19. Jahrhunderts gedacht haben, aber heute ist das alles machbar. Die Technologien zum automatischen Behälterumschlag und zum automatischen Fahren sind einsatzreif – eben nur noch nicht auf der Schiene. Aber das kann sich ja schnell ändern.

Zum Glück gibt es eine kleine Reihe von Animationen in der Sendung “Zeitsprung” von Franz Alt aus dem Jahr 1993. Dort wird sehr schön erklärt, wie mittel kleiner automatischer Umschlag-Terminals in City-Nähe (sogenannte City-Logistk-Terminals) ein Umschlag auf kleinere elektrisch betriebene Lieferfahrzeuge oder sogar Güter-Straßenbahnen geschehen kann.

 

Redaktion Zeitsprung (5) Mobil ohne Auto

Die Ideen, die dort aufgezeigt sind, stammen zum großen Teil aus zwei langen Gesprächen im Sekretariat für Zukunftsforschung mit dem Redakteur dieser Sendung. Auch Ideen des Industrie-Designers Werner Rien sind in die Animationen eingeflossen.

Sie zeigen, dass es durchaus möglich wäre den Behälterwechsel von der Bahn auf kleinere Fahrzeuge oder auch eine Güterstraßenbahn effizient und auch vollautomatisch zu organisieren. Aber auch die Schienenfahrzeuge selbst könnten vollautomatisch zu ihrem Bestimmungsort gefahren werden.

Besonders effektive wäre eine Umstellung der mechanischen Zugbildung zu einer elektronischen Kopplung der Einzelwagen. Dann könnte auf der Schiene Einzelwagenverkehr realisiert werden. Die einzelnen Transportgefäße müssten dann nicht mehr aufwendig zu Zügen zusammengestellt werden, sondern könnten sich je nach Bedarf in den Transportablauf integrieren.

In den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es eine ganze Reihe von Ideen für neue Bahnsysteme, die alle den automatischen Einzelwagenverkehr als Lösungsvorschlag beinhalteten, weil er die Vorteile des Individualverkehrs mit den Vorteilen des Schienenverkehrs kombiniert. Hier könnte mit den neuen “intelligenten” Steuerungssystemen angeknüpft werden.

An den verstopften Straßen wird das automatische Fahren nicht groß etwas ändern. Automatisches Fahren auf der Schiene hat dagegen ein enormes Steigerungspotential der Verkehrsleistung wie auch der Durchschnittsgeschwindigkeit. Vor allem in urbanen Räumen.

Und zu guter Letzt hat die Schiene auch noch einen wesentlich geringeren Energieverbrauch, ist also ein wirklich nachhaltiges Verkehrsmittel.

Literatur

Boës, Hans; Hesse, Markus (Hrsg.): Güterverkehr in der Region. Technik, Organisation, Innovation. Metropolis Verlag 1996.

Dipl.-Ing. Hans Boës arbeitet an postfossilen Mobilen im Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg. Er kann erreicht werden unter info@postfossilemobile.de.

 

veröffentlicht auf Telepolis im Juni 2017

https://www.heise.de/tp/features/Automatisch-fahren-aber-auf-der-Schiene-3750972.html